Montag, 6. April 2009

Ein Reich mit tausendjähriger Reichweite

Es sind die Begriffe, die nicht mehr dieselben sind. Rommel. Königstiger. Frost und Moskau, Ruhm und Ehre. Rommel ist ein sehr real existierender Gerüstbauer aus dem Flachland um Halle an der Saale. Doch wo der Mann, der sich Blitzgerüstbau nennt, Fassaden einrüstet, bastelt der Feldmarschall mit ihm: Das große blaue Plakat, auf dem "Rommel Gerüstbau" steht, zwingt zu Assoziationen und unbeantwortbaren Fragen. Bekommt der deshalb weniger Aufträge? Oder mehr? Und ist das überhaupt erlaubt, so zu heißen?

Denn 70 Jahre nach Beginn des Zweiten Weltkrieges ist der Königstiger kein Tier mehr, sondern ein Panzer, auf die Wortkombination Frost und Moskau reagiert der Durchschnittsdeutsche wie ein Pawlowscher Hund mit dem reflexiven Gedanken an Wehrmachts-Fußlappen, meterhohe Schneewände und der wütend wippenden Hitlerschen Messerscheitel. Ruhm und Ehre? Nicht zwei Worte, sondern der Anfang eines Satzes, der das Motto der Waffen-SS war. "Klotzen, nicht kleckern", empfiehlt die Sparkasse Halle als Geldanlage - für gebildetere Passanten klingt das nach Panzergeneral Guderian, "reich ins Heim" wortspielt Arnulf Rating. Das Original kennen ja dank unablässig anschwellender Aufklärungsbemühungen alle.

Die Sowjetarmee hat es an der Wolfsschanze (Foto unten) vorgemacht. Mit Hilfe der Munition einer ganzen Division gelang es ihr, die Betonburg in mythische Höhen zu sprengen: Alles explodierte, nichts ging kaputt. Offiziell heißt es seitdem, die Wehrmacht selbst habe das Führerhauptquartier vor Ankunft der Sowjettruppen selbst dilettantisch in die Luft jagen wollen. Fremdenführer vor Ort lachen dazu nur.

Es liegt auf der Hand, weshalb das dritte und sehr kurzlebige Reich völlig zurecht das Tausendjährige genannt wird. 60 Jahre beinharte Entzauberung, tausende von gutgemeinten Kinofilmen, Dokumentardramen und zehntausende von erhellenden Büchern, Hitler als Nachmittagsmoderator bei den Privaten und Knoppkuren im Gebührenfernsehen haben nachwachsenden Generationen den Hitler als Suffleur in den Hinterkopf transplantiert: Was immer passiert, gesagt wird oder aussieht, am Maßstab der zwölf Jahre zwischen 1933 und 1945 muss sich alles messen von Autobahn bis Weltraumfahrt, von Architektur bis zur makrobiotischen Kost, die der Führer nur zugunsten von Leberknödelsuppe bisweilen beiseite schob.

So rommelt und goebbelst es allenthalben, die Gestapo liefert weltweit die Vorlagen für verdammenswürdige "Methoden", das Autokennzeichen AH geht sowenig wie HJ, KZ, NS, SA und SS, die Gruppe Kiss ist bei Ausflügen nach Deutschland noch immer gut beraten, die normale Bühnendeko gegen eine runenlose Bühnendeko auszutauschen. S und S, das geht nicht gern in Deutschland, vermutlich noch die nächsten tausend Jahre. Kein tausendjähriges Reich: Aber ein Reich mit einer Reichweite über tausend Jahre.

1 Kommentar:

nwr hat gesagt…

"Fremdenführer"

Au weia, wenn das die Wortpolizei hört!

Fremde brauchen Freunde, keine Führer!