Sie sind wie die Montagues und die Capulets. Wie die Beatles und die Stones. Wie Merkel und Merz, Bohlen und Pop. Feuer und Wasser, Pauken und Trompeten. Himmel und Hölle. Magdeburg und Halle, die beiden kleinen größten Städte des Bundeslandes Sachsen-Anhalt, trauen sich nicht über den Weg. Sie tun sich gegenseitig weh, wo sie können, sie sind eifersüchtig aufeinander und beargwöhnen den jeweils anderen als Metropole mit so großen Minderwertigkeitskomplexen, dass nur die Feindschaft zur eigenen, unübersehbaren Größe einen Rest Selbstbewusstsein zu mobilisieren schafft. "Bauer" ist jeder, der in und um Magdeburg lebt, wenigstens für alle aus Halle. Hallenser hingegen, ein zu allen Landsmannschaften ringsum eigentümlich unzugehöriger Menschenschlag, gelten den schon leicht altmärkisch und braunschweigisch geprägten Magdeburgern als "Sachsen".
Einst hatten beide Städte ihre eigenen Bezirke, aus denen heraus sie einander mit Abscheu ignorieren konnten. Die Wiederherstellung des bis dahin nur für ein geschichtliches Augenzwinkern lang existierenden Landes Sachsen-Anhalt aber sperrte die Bauern und die Sachsen zusammen hinter eine Landesgrenze. Halle, numerisch gesehen größte Stadt im Bindestrichland Sachsen-Anahlt, verlor dann auch noch die Würde der Landeshauptstadt an die kleinere Elbestadt im Norden, weil die aus Niedersachsen herüberströmenden Aufbauhelfer ihre künftigen Ministerien lieber etwas näher an den Eigenheimen in Celle, Braunschweig und Hannover errichtet haben wollten.
Seitdem ist aus Mißgunst gegenseitige Verachtung geworden. Kümmert sich schon sonst niemand um Sachsen-Anhalt, den weißen Fleck auf der grauen Ostlandkarte, so kümmern sich die Sachsen-Anhalter, von Auswärtigen gern "Sachsen-Anhaltiner" genannt, eben selbst um Distinktionsgewinn durch Abgrenzung. Tief unten im Bergwerksschacht sieht zum Schichtschluß der nur dunkelbraun Verschmierte am hellsten aus. Hier ist König, wer unwesentliche Popbands wie Tokio Hotel zu seinen Hervorbringungen zählen kann wie Magdeburg. Oder wer grellstählerne Museumsbauten über alte Burggemäuer gewölbt bekommt wie Halle.
Dass Magdeburg auf der virtuellen Weltkarte von Google Earth grüner aussieht als Halle, halten die Einwohner der sich unterdessen wenigstens trotzig "Kulturhauptstadt" nennenden "Diva in grau" für eine von langer Hand geplante Verschwörung. Die Behörde, die die Satellitenbilder an Google verkauft hat, sitze in Magdeburg. Natürlich habe sie deshalb veranlasst, dass Halle dumpf und grau im Herbst, die Elbestadt aber im strahlenden Frühlinggrün fotografiert wurde. Naheliegend auch, dass eine ähnliche Verschwörung die Ursache dafür ist, dass Magdeburg eine große Handballhalle und einen Handball-Erstligisten besitzt, Halle dagegen nur eine meistensteils leerstehende Halle für Weitwurfwettbewerbe.
Und kein Zufall kann es so sein, dass der Fußballklub der Landeshauptstadt, in seinen guten Tagen Europacupsieger, in seinen schlechten Bittsteller beim Insolvenzgericht, in einer funkelnagelneuen Betonschüssel spielt. Während der Verein aus der früheren Chemiemetropole in einer Ruine zu Hause ist, die als "Mitteldeutsche Kampfbahn" in den 30er Jahren errichtet und seitdem nahezu im Urzustand erhalten wurde. Weil Halle im Gegensatz zu Magdeburg im Zweiten Weltkrieg nicht zerbombt wurde. "War es nicht wert", sagen die einen. "Daran haben die doch gedreht, um Magdeburg fertigzumachen", meinen andere.
Zuletzt haben die Hallenser zurückgeschlagen. Die Gebeine der Magdeburger Sagenfigur Editha konnten von einem aus dem Rheinland stammenden, aber in Halle amtierenden Museumsdirektor direkt aus einer Krypta unter einer Magdeburger Kirche an die Saale entführt werden. "Zu Untersuchungen" hieß es. Magdeburg, von den Hallenser störrisch "das Dorf" genannt, war entsetzt, empört, verletzt. Nachdem schon Tokio Hotel fortgezogen waren ein zweiter harter Schlag. Halle amüsierte sich. Die Kulturhauptstadt hat keine Popstars, die sie verlieren könnte, und keine Sagengestalten, die noch aufzufinden wären.
Das Rückspiel steigt nun am Wochenende, wenn der mit Steuermillionen gesund gefütterte 1. FC Magdeburg zum Regionalliga-Rückspiel nach Halle kommt. Dreimal hat der FCM zuletzt gegen die Überraschungsmannschaft aus Halle verloren, trotz größerem Etat, teurerer Mannschaft und höherer Ambitionen. Inzwischen stehen die Sachsen, die keine sind, in der Tabelle sogar vor den Bauern, deren früherer Trainer Heine von den HFC-Fans stets liebevoll mit dem Spruch "Heine, Heine, hüte Deine Schweine" gefeiert wurde. "Ihr seid alle asozial", riefen die in blau-weiß gehüllten Fans von der Elbe zurück, ehe sie weinend nach Hause gingen. Nach dem Pokalsieg pflanzte ein Spieler der Rot-Weißen aus Halle eine HFC-Fahne in den Mittelkreis des blau-weißen Stadions der Bauern, als wolle er den untoten Fußballfeind für alle Zeiten pfählen.
Aber da sind sie schon wieder, die Blau-Weißen auf Platz 3, die Rot-Weißen auf Platz 2 der Regionalliga Nord. Für Sachsen-Anhalt ist das Spiel, zu dem mehr als 10.000 Zuschauer erwartet werden, wie Bayern gegen Hamburg und Schalke gegen Dortmund an einem Tag, in einer Straßenbahn. Hier, wo sonst außer Zierfischbörsen und Rassekatzenschauen keinerlei öffentliches Leben mehr stattzufinden pflegt, geht die Angst um, die renitenten Rivalen könnten Halle, Magdeburg und alles dazwischen vor lauter Freude oder Zorn in Schutt und Asche legen. In der Vergangenheit wurde die Begegnung zur Zuschauervermeidung deshalb teilweise am Nachmittag mitten in der Woche angesetzt, teilweise wurde sie zwangsweise ins Magdeburger Stadion verlegt, das als sicherer gilt als die bröcklige Arena in Halle.
Diesmal aber gehen die Behörden volles Risiko, weil keine Ausrede zur Hand ist. Es geht um alles, für alle. Rache für den Editha-Raub. Vergeltung für Tokio Hotel. Drei Punkte als Ausgleich für den verlorenen Hauptstadttitel. Ein Heimsieg als Entschädigung für die gefälschten Google-Earth-Bilder. Feuer und Wasser, Pauken und Trompeten. Himmel und Hölle, am kommenden Sonntag auf den Traversen, vor denen die drei HFC-Sagenfiguren Frank Pastor, Werner Peter und Holger Krostitz von 31 Jahren ein historisches 5:1 gegen den ewigen Rivalen herausschossen. "Sturmtrio setzte Glanzlicher" titelte die DDR-Fußballgazette "FuWo" seinerzeit.
Dieses Wochenende tritt der HFC nur mit einem Stürmer an, der aussieht und spielt wie Marius Müller-Westernhagen im Film "Theo gegen den Rest der Welt". Hinter Thomas Neubert aber, einem gebürtigen Cottbusser, der lange in Sachsen spielte, wird die beste Abwehr der Liga stehen. Die Bauern hingegen kommen mit dem zweitbesten Sturm und dürfen nicht verlieren. Halle muss nicht gewinnen. Tief unten im Bergwerksschacht ist zum Schichtschluß der am hellsten, der nur dunkelbraun verschmiert ist. Tief unten im Fußball-Armenhaus Sachsen-Anhalt, aus dem es noch nie eine Mannschaft in die erste Liga geschafft hat, ist König, wer die Bauern schlägt.
Abonnieren
Kommentare zum Post (Atom)
4 Kommentare:
schön! aber thomas neubert ist eine gebürtige gurke.
Editha war keine Sagenfigur sondern eine real existierende Figur und die "Kirche" ist nichts anderes als der erste gotische Dom auf deutschem Boden.
ja, und darauf zumindest könnt ihr stolz sein
glückwunsch! starke analyse!
ein grossraummagdeburger (1 zu 2)
Kommentar veröffentlichen