Die Angstindustrie hat eine Religion erfunden, schreibt der Medienwissenschaftler Norbert Bolz im leicht obskuren Christenmagazin "Chrismon", "Ihr Credo: Katastrophen und Weltuntergang sind unausweichlich". Und wo er recht hat, hat er recht.
Gegen die Angst hilft nur eine andere Angst. Das kann man zur Zeit sehr schön beobachten. Jahrzehntelang hatten wir Angst vor den Atomkraftwerken. Seit genau 20 Jahren haben wir Angst vor der Klimakatastrophe. Heute ist die Angst vor der Energiekatastrophe erwacht. Und die Aussicht, dass bald die Lichter ausgehen, lässt viele schon jene Urangst vor der Atomkraft vergessen. Auf den Film "The Day After" über die Atomkatastrophe folgte der Film "The Day After Tomorrow" über die Umweltkatastrophe. Welche Apokalypse wird uns der Tag nach übermorgen im Kino zeigen?
Was wir im Fernsehen und im Kino zu sehen bekommen, ist die Welt als Skandal und Katastrophe. Und wir sind auch als Unbetroffene betroffen - nicht nur, weil eine universalistische Moral uns für alles verantwortlich macht, was auf dem Erdball geschieht, sondern auch deshalb, weil uns die fernen Bilder des heutigen Schreckens auf die gemeinsame Zukunft aller Menschen in der modernen Gesellschaft stoßen. Katastrophen nivellieren; sie machen uns alle gleich in der Unsicherheit. So bildet sich weltweit eine Ökumene der Fernsehzuschauer.
Vor allem die Fernsehnachrichten inszenieren das Drama der Hilflosigkeit. Man lernt, sich hilflos zu fühlen, wenn man andere beobachtet, die unkontrollierbaren Ereignissen, etwa Naturkatastrophen, ausgesetzt sind. Und ein Zweites kommt hinzu: die Angstlust. Mit Schadenfreude hat das nichts zu tun. Der Zuschauer der Katastrophe genießt nicht das Leiden der anderen, sondern seine Distanz dazu - so sah es übrigens schon der römische Schriftsteller Lucretius im ersten Jahrhundert vor Christus.
Doch welches Bedürfnis wird damit befriedigt? Friedrich Nietzsche hat vermutet, dass wir in einer Gesellschaft der Notsüchtigen leben - nichts ist uns nötiger als Nöte, sichtbare Unglücke: Tsunami oder islamischer Terror. Und gerade die lustvolle Unbetroffenheit durch das Leid dort draußen fordert komplementär die "Betroffenheit" als politisch korrekte Haltung. Man konsumiert die Sensationen des Unheils. Fernsehen ist Katastrophenkonsum.
Das Wort "Katastrophenkonsum" ist hier mit Bedacht gewählt, denn wir haben es mit einer milliardenschweren Angstindustrie zu tun. Massenmedien machen auf dem Markt der Gefühle Geld mit der Angst der anderen. Es gibt längst eine gut geölte, multimediale Angstindustrie, die einen Spiritualismus der Bedrohtheit kultiviert: die Unsichtbarkeit des Schädlichen (Radioaktivität, Gift, Feinstaub). In der Welt der Warner und Mahner wird die Apokalypse zur Ware. Und auch für die Rettung gibt es einen gigantischen Markt. Denn nichts verkauft sich heute in der westlichen Wohlstandsgesellschaft besser als Öko, Bio und Grün. Längst hat Hollywood diese neue Form der Gehirnwäsche in eigene Regie genommen; seine Sterne und Sternchen präsentieren uns die Rettung der Welt als gute Unterhaltung.
Angst erweist sich dabei als erfolgreichste Kommunikationsform, denn die Angstrhetorik ist unwiderlegbar. "Ich habe Angst" - authentischer geht's nicht. So erfindet der Humanismus der Massenmedien die Menschheit als Gemeinschaft der Ängstlichen; er stiftet eine Ökumene der apokalyptischen Drohung. Wer dagegen Distanz zur Moral hält, gilt als Zyniker. Die apokalyptische Drohung produziert Heilssorge. Deshalb tritt man der Sekte bei, wirft Bomben im Namen der Unterdrückten und Beleidigten, befreit die Hühner aus den Legebatterien oder trennt doch wenigstens den Hausmüll. Zugleich wirkt in der apokalyptischen Drohung aber auch die Verheißung, die eigene Existenz mit der Welt zu synchronisieren. Sei es der Untergang der Welt oder der Sonnenaufgang des Kommunismus, sei es die Rache der Natur an der Zivilisation oder das Flammenzeichen des Millenniums - das Entscheidende geschieht in deiner Lebensfrist!
Die grüne Bewusstseinsindustrie ist auf dem Markt der öffentlichen Meinung eben deshalb so erfolgreich, weil sie konkrete Formen der Apokalypse offeriert. Die Polkappen schmelzen - oder der Reaktorkern. Und Apokalypse heißt stets: Was hier auf dem Markt der Gefühle angeboten wird, war noch niemals da; die Wende der Welt steht mir selbst bevor - als absolutes Erlebnis. Ökologische Probleme sind offenbar deshalb das ideale, unüberbietbare Thema der Massenmedien, weil eben die ganze Welt in den Blick rückt: Alle sind betroffen. Radioaktivität, Umweltverschmutzung und Global Warming kennen keine Grenzen.
Die Angstreligion scheint eine deutsche Erfindung zu sein. Man kann das daran erkennen, dass die empirischen Apokalypsen überwiegend deutsche Fantasien sind. 1837 dichtet der Naturforscher Karl Friedrich Schimper die Eiszeit. 1865 beschwört der Physikprofessor Rudolf Clausius den Wärmetod. 1981 prophezeit der Bodenforscher Bernhard Ulrich das Waldsterben. Nur die Klimakatastrophe verdankt sich nicht deutscher Einbildungskraft: 1988 erfindet James Hansen die "globale Erwärmung". Vier Gestalten der grünen Apokalypse, die ein Zwischenfazit erlauben: Die Theologie des Weltuntergangs ist durch die Ökologie des Weltuntergangs ersetzt worden. Es handelt sich um eine präzise Umbesetzung im religiösen Stellenrahmen: Der Untergang der Welt ist das Jenseits als Diesseitserwartung. Statt "Was darf ich hoffen?", fragt die heutige Religiosität: "Was muss ich fürchten?"
Die Katastrophe fasziniert offenbar als genaues Gegenbild zum funktionierenden System der modernen Gesellschaft. Keine Statistik, keine Mathematik und keine Erfahrung kann uns auf eine Katastrophe vorbereiten. Die Katastrophe ist nämlich genau der Fall, für den man die modernen Techniken von Risikokalkül und Expertenurteil nicht akzeptiert. Rationalität hat hier keine Chance einzuhaken. Gerade beim Thema Global Warming präsentieren sich viele Wissenschaftler als Glaubenskrieger.
Seit dem Fall der Berliner Mauer beobachten Medienwissenschaftler eine Inflation der Katastrophenrhetorik. Offenbar hat das Ende des Kalten Krieges ein Vakuum der Angst geschaffen, das nun professionell aufgefüllt wird. Man kann deshalb durchaus von einer Industrie der Angst sprechen. Politiker, Anwälte und Medien leben ja sehr gut von der Angst. Und eine ständig wachsende Anzahl von Gefälligkeitswissenschaftlern nutzt die Universitäten als eine Art Zulieferindustrie.
In der Faszination durch die Katastrophe oszilliert aber auch eine Dialektik von Heilsversprechen und Elendspropaganda, die zugleich Hysterie und Hoffnung produziert. Denn die Welt ist noch zu retten, wenn wir alle am Gottesdienst der Vorsorge und Sicherheit teilnehmen. Schon heute ist die Religion des Sorgens und Schützens die eigentliche Zivilreligion der Deutschen. Sie folgen dabei den grünen Hohepriestern, die sie weg von Gott Vater und hin zu Mutter Erde führen.
Die Angstreligion hat durchaus ihre Priester, ihre Pilgerfahrten und ihren Heiligen Gral. Nur dass die jungen Glaubenshelden heute Ölplattformen besetzen und die Rainbow Warrior gegen finstere Atommächte in See sticht. Greenpeace - das sind die Kreuzritter der heilen Welt. Sie stehen für eine neue Religiosität, die auf den Namen "Umweltbewusstsein" getauft ist. Umwelt heißt der erniedrigte Gott, dem die Sorge und die Heilserwartung gelten. Die Heilssorge unserer Zeit artikuliert sich als Sorge um das ökologische Gleichgewicht. Für die fundamentalistischen Grünen ist Natur selbst die Übernatur. So funktioniert das Umweltbewusstsein als Quelle einer neuen Religiosität.
Die Angstreligion ist der neue Glaube für die gebildete Mittelklasse, in dem man Technikfeindlichkeit, Antikapitalismus und Aktionismus unterbringen kann. Nach den revolutionären Sturmliedern erklingt nun weltweit die Pastorale der Grünen, dieser postmodernen Hirten des Seins, die den Umweltschutz predigen. Ihr Motto lautet: die Schöpfung bewahren, statt auf Erlösung zu hoffen. Doch diejenigen, die sich mit religiöser Inbrunst der Natur zuwenden, sind von der Geschichte enttäuscht. Und weil sie sich nicht mehr in die Arme der Kirche zu werfen wagen, beten sie grüne Rosenkränze.
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