Viele Menschen haben vieles gesagt zum Thema Olympia, zur Internet-Blockade, von der man seit Beginn der Spiele gar nichts mehr hört, über Doping und kritischen Journalismus in Peking. Christian Zaschke von der Süddeutschen Zeitung hat das Schlußwort übernommen - unter dem Titel "Wir sind's nur" beschreibt er, wer da in der Olympia-Pfanne brutzelt, kritisch die mediale Präsentation des Milliardengeschäftes mit den fünf Ringen wirklich ist und worauf sich der Sportkonsument verlassen kann: Dass es von hier aus sicher nie mehr besser werden wird. Der Text ist lang, ein Dramolett in neun Akten, aber er ist auch lustig.
China öffnet sich mit den Olympischen Spielen der Weltpresse? Nun ja, es kommen hauptsächlich Sportjournalisten. Eine Relativierung.
Von Christian Zaschke
I. Zierpudel
Tausende Journalisten machen sich gerade auf den Weg nach Peking, sie treffen im Laufe der kommenden Woche ein. Ist das nicht ein phantastisches Zeichen? Das Riesenreich lädt die Medien der Welt ein und sagt: Seht her! Wir haben nichts zu verbergen. Wer etwas zu verbergen hätte, würde nicht Tausende Journalisten ins Land lassen. Also wird gefeiert, dass nun die internationalen Medien einziehen in China. Jacques Rogge, Präsident des Internationalen Olympischen Komitees (IOC), sagt: "Wir glauben, dass China sich verändern wird, indem es sich der Überprüfung durch 25 000 Journalisten unterzieht, die zu den Spielen kommen werden."
Halten wir kurz inne und überlegen: Wer kommt denn da? Heißt Peking die besten, die kritischsten, die aufrechtesten Berichterstatter der Welt willkommen, die sich ungestört umsehen dürfen? Nein. Wer da kommt, das ist eine besondere Spezies: Peking erwartet den Einmarsch der Sportjournalisten. Mit Freude. Denn seien wir ehrlich: Sportreporter sind im Berufsstand der Journalisten das, was die Zierpudel unter den Hunden sind. Ich bin einer von ihnen.
II. Gestatten, Geschwätz
Es gibt diese aufgeblasenen Wörter, die klingen, als seien sie in Stein gemeißelt zur Welt gekommen. Wenn man ihnen die Luft rauslässt, bleibt entweder nichts übrig, oder sie geben sich zu erkennen: gestatten, Geschwätz. "Denkschule" ist so ein Wort. Vielleicht haben Sie in letzter Zeit eins der vielen Interviews mit Thomas Bach gelesen. Wenn nicht - macht nichts. Thomas Bach ist der Chef eines Gebildes mit dem sperrigen Namen Deutscher Olympischer Sportbund (ebenso sperrig ist die Abkürzung: DOSB). Außerdem ist er Vize-Präsident des Internationalen Olympischen Komitees. Und er ist so dies und das (bis vor kurzem zum Beispiel Berater von Siemens), aber das tut jetzt nichts zur Sache. Thomas Bach erklärt in diesen Interviews, wie es passieren konnte, dass das IOC die Olympischen Spiele nach Peking vergeben hat. Er sagt nicht: "Schönen guten Morgen, Sie haben wohl den Schuss nicht gehört. China! Klingelt's? Der größte Markt überhaupt." Er sagt: "Es herrschten zwei Denkschulen vor: Eine Gruppe wollte die Spiele nur in ein Land geben, wo die Menschenrechte voll verwirklicht sind; die andere Schule sagt, dass Olympische Spiele zur Öffnung eines Landes beitragen können." Diejenigen im IOC, die in der Denkschule gelernt haben, in der die Menschenrechte nicht voll verwirklicht werden müssen, verweisen nun darauf, dass das Land sich öffnet, dass also all die Journalisten kommen und mal so richtig berichten. Aber: wovon?
III. Wie fühlt sich das an?
Als in Athen bei den Spielen 2004 die Pressekonferenz nach dem Gewichtheben im Superschwergewicht anstand, war alles wie immer: Die Sportjournalisten schlurften in den Saal, sie setzten sich, die Hälfte döste bald weg. Der Olympiasieger sagte etwas. Es war ein Iraner, der auch im Jahr 2000 bei den Spielen in Sydney Gold gewonnen hatte. Zwischen 1998 und 2000 hatte er seine Bestleistung um rund 100 Kilogramm gesteigert. Fachleute sagen: Das geht nicht, es ist völlig unmöglich. Bei seinem Olympiasieg 2004 hatte er seinen eigenen Weltrekord eingestellt. Wenn bei den Segelwettbewerben in irgendeiner Klasse ein Boot die anderen deklassiert, ja um einige Minuten abhängt, aber man ein Röhren hört und das aufgewühlte Kielwasser sieht (wie auf dem Traumschiff, wenn man versonnen am Heck steht, Sie wissen schon) - dann würde (vielleicht) jemand auf der Pressekonferenz sagen: "Jetzt mal im Ernst: Sie haben sich doch einen Motor eingebaut." Im Fernsehen würde man vielleicht sagen: "Nur 'ne Frage, kein Vorwurf, klar: Aber könnte es sein, dass Sie 'nen Motor . . . ?" Immerhin.
Der Iraner aber, er erzählte. Er sprach von Stolz, von Gold, wieder von Stolz, und dann passierte etwas Erstaunliches: Zwei oder drei Journalisten - ohne dass sie sich abgesprochen hatten - stellten Fragen. Motorfragen. Erst mal harmlos: Woher kommt die große Kraft? "Ich esse sehr viel", erklärte der Olympiasieger. Die Gewinner von Silber und Bronze erklärten daraufhin, sie äßen auch viel, den ganzen Tag, oh Mann, so viel essen, manchmal wüssten sie selbst nicht, wie sie noch mehr essen sollten. Alsdann, neue Fragen. Im Gewichtheben gab es, gibt es, wird es geben: mehr Dopingfälle als in jeder anderen Sportart. Schon mal gehört davon? Oder was gesehen, bei anderen natürlich? Oder gar: SELBST GEDOPT? Silber und Bronze standen auf und gingen. Sie hatten Verpflichtungen, vermutlich mussten sie essen. Die Übersetzer verstanden keine Sprachen mehr. Minutenlang ging es nicht weiter, dann beschied der Olympiasieger, man möge ihm noch einmal die Frage übersetzen; das dauerte erneut einige Minuten. Dann ließ er ausrichten: "Können Sie die Frage wiederholen?" Es herrschte eine gewisse Spannung, als ein weiterer Journalist sich meldete, und er durfte auch sofort fragen: "Ich habe eine Frage an den olympischen Champion: Wie hat es sich angefühlt, als Sie da oben standen und wussten: Ja! Jetzt habe ich es geschafft! Ich habe die Goldmedaille! Wie hat sich das angefühlt?"
Gute Frage, die war völlig vergessen worden!
Der Champion lächelte. "Es war großartig", ließ er den Übersetzer ausrichten, "ich danke Ihnen allen." Dann ging er. Der Sportjournalist mit der letzten Frage, der hatte seine Arbeit getan. Er war Amerikaner, aber es ist egal, woher er kam. Mindestens einer wie er sitzt in all diesen Pressekonferenzen. Die Hälfte, die schon zu Beginn weggedöst war, wachte jetzt allmählich auf.
IV. Die olympischen Ringe
Die große Öffnung sieht so aus: 10 000 Athleten reisen nach Peking. Zudem 25 000 Sportjournalisten. Sie alle bewegen sich auf dem sogenannten olympischen Gelände. Die Sportjournalisten werden über die Sportler berichten, größtenteils über die, über die sie auch sonst immer berichten. Geschichten von Sieg und Niederlage werden sie schreiben und senden, von den großen Dramen werden sie erzählen, die es im Sport gibt. Dann: das erste Gold für ihr Land. Oh, sei besungen, Olympiasieger, oh, sei gepriesen, Olympiasiegerin. Als Sie wussten, Sie haben es geschafft, Sie haben Gold: Wie hat sich das angefühlt?
Dass ihr Raumschiff voller Sport gerade in China gelandet ist - für die Sportjournalisten wird es so gut wie keine Rolle spielen. Und das, obwohl sie sich vielleicht sogar informiert haben über den Ort, an dem das alles passiert.
Was die Spiele stören könnte, ist aus Peking entfernt worden, frag nach bei den politischen Korrespondenten, bei den Nichtregierungsorganisationen, bei den kritischen Chinesen im Ausland. Es gibt drei Sicherheitsringe um die Stadt. Damit niemand reinkommt, der stören kann. Diese olympischen Ringe sind wie Sicherheitsglas um ein Aquarium. Kein denkender Mensch kann daran zweifeln, dass dies die Spiele einer Parteidiktatur werden. Propaganda mit Hilfe des Sports. Es gibt kein besseres Werkzeug.
V. Einige Hundert Meter
Eine Meldung aus dem Sportjournalisten, dem Branchenblatt des Vereins der deutschen Vertreter des Berufsstandes. Ich bin Mitglied. Die Meldung geht so: "Dieter Hennig (64) aus der Redaktionsleitung des Sport-Informationsdienstes (sid) beendet nach den Olympischen Spielen seine berufliche Laufbahn. (. . .) Das Internationale Olympische Komitee hat ihn als einen von fünf Journalisten aus aller Welt zum Träger des olympischen Feuers ernannt, am 6. August auf einigen Hundert Metern durch Peking." So werden wir Sportjournalisten zu Rädchen in der Maschine.
Der Sport-Informationsdienst ist eine der größten deutschen Nachrichtenagenturen für Sport, er beliefert Hunderte Zeitungen im ganzen Land. Er ist eine Meinungsmacht. Und er ist am 6. August Träger der Fackel auf den Straßen von Peking. Träger des Symbols der Bewegung.
VI. Gemein sein
Der 1995 verstorbene Journalist Hanns-Joachim Friedrichs, ehemals "Tagesthemen"-Moderator, hat gesagt: "Einen guten Journalisten erkennt man daran, dass er sich nicht gemein macht mit einer Sache, auch nicht mit einer guten Sache; dass er überall dabei ist, aber nirgendwo dazugehört." Über diesen Satz ist seit Friedrichs Tod viel geschrieben worden, einige interpretieren ihnen so, die anderen so. Friedrichs war lange Jahre Sportchef des ZDF, und es hat ja auch niemand gesagt, dass es keine Ausnahmen gab und gibt. Das ZDF aber pflegt das Andenken des einstigen Sportchefs auf eigenwillige Weise. Nur ein Beispiel: Als während der Fußball-EM 2008 die Sorge aufkam, Michael Ballack werde verletzt ausfallen, sagte Katrin Müller-Hohenstein als Moderatorin des ZDF-Sportstudios, das sei eine Hiobsbotschaft "für uns Fans".
VII. Denken Sie kurz nach
Ist es denn immerhin eine gute Sache, mit der er sich gemein macht, der fackeltragende, der affirmativ berichtende, der jubelnde Sportjournalist? (Sie werden vermutlich noch nicht das Vergnügen gehabt haben, auf einer Pressetribüne voller Sportjournalisten zu sitzen. Sagen wir es so: Da wird gern mal gejubelt).
Was hat es auf sich mit dem olympischen Geist? Der oben erwähnte DOSB hat zur Einstimmung auf die Spiele eine Botschaft verschickt. Sie lautet: "Sport-lich fair bleiben", aber es geht allein darum, dass wir alle das große Verdienst der Olympia-Sponsoren ehren sollen. Dazu wurde eine bunte Broschüre erstellt, in der die Sportjournalisten über das sogenannte Ambush-Marketing aufgeklärt werden (ambush = Hinterhalt). Das sei böse. Gut seien hingegen die offiziellen Olympia-Sponsoren. Am Ende steht da: "Nehmen Sie sich einen Moment Zeit, um kurz nachzudenken." Na, immer gern! Worüber denn? Dann steht da: "Dass es hier verdammt noch mal allein ums Geld geht, du hirnverbrannter Vollidiot, und jetzt schreib halt irgendwas Schönes, und schreib, dass die Sponsoren wieder mal super sind. Ja, auch McDonald's. Was soll komisch daran sein, dass McDonald's Sportler sponsert? Die essen nix anderes. Burger, Fritten, dazu trinken sie Cola!"
Naja, das steht da nicht. Da steht, dass einige Unternehmen unerlaubt olympische Symbole nutzen. Und dann steht da: "Das ist unfair sowohl gegenüber den Athleten als auch den Olympia-Sponsoren sowie der Olympischen Bewegung. Machen Sie sich bewusst, dass es die offiziellen Partner sind, die den olympischen Traum ermöglichen." Das steht da.
VIII. Gute Freunde
Mitten in der Bewusstmachung fiel mir auf, dass zu der per E-Mail verschickten Botschaft noch ein Film des IOC gehörte, der ebenfalls auf die Spiele einstimmen sollte. Direkt draufgeklickt. Sportler nähern sich, sie gehen langsamen, aber sicheren Schrittes in eine Art Tempel, den Blick erhoben. In der Mitte des Tempels steht ein bärtiger Mann, ein Weiser vielleicht. Seine markante Stimme ertönt: "Seid willkommen. Alle Augen sind auf euch gerichtet." Dann rennen gestählte Körper mit Pferden um die Wette, sie springen die Berge hinauf, sie trotzen dem Feuer, feinste Leni-Riefenstahl-Optik. Für die Jüngeren: Riefenstahl drehte 1936 bei Olympia in Berlin, bei Hitlers Propagandaspielen. Die markante Stimme schmettert die Sätze nun, "Ihr alle erfüllt uns mit Stolz darauf, Menschen zu sein", die Sportler rennen, springen und trotzen noch immer, die Musik schwillt an, die Stimme schmettert, lauter noch: "Wenn Ihr solche Größe erreichen könnt, dann ist nichts unerreichbar." Schließlich überschlägt sich die Stimme fast, sie zittert vor Erregung, als sie ruft: "Geht, und verblüfft uns!" Man muss sich einen Leni-Riefenstahl-Film im Vergleich als äußerst subtil vorstellen. Im Abspann erscheinen die olympischen Ringe, darunter steht: The Best of Us. Das also sind sie, die besten Menschen. Man muss kurz verschnaufen, wenn man sich das angesehen hat. Peking und das IOC - da haben sich aber zwei mal so richtig gefunden.
IX. Games over
Der Philosoph Peter Sloterdijk beschreibt die Spiele in Peking in einem großartigen Interview im Spiegel als den größten Aufmarsch der Gedopten, seit der erste Mensch einen Stein schleuderte. Es sind dies die Spiele, mit denen allmählich das Ende des Sports, wie wir ihn kannten und kennen wollten, eingeleitet wird, weil Doping an der Tagesordnung und doch nur gelegentlich nachzuweisen ist. Es sind dies die Propagandaspiele in einer Parteidiktatur, in der die Menschenrechte nur "noch nicht voll verwirklicht" sind. Es sind dies Spiele für die Sponsoren, für internationale Großkonzerne, von denen wir uns alle bewusst machen sollen, dass sie es sind, die den olympischen Traum erst ermöglichen.
Es kommt wirklich einiges zusammen diesmal. Dazu melden wir, die Zierpudel, uns jetzt täglich live aus Peking.
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1 Kommentar:
ein pflichtstück, meine ich.
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