Es ist das Jahrestreffen der Kleiner-Feigling-Trinker, ein Kulturereignis erstes Ranges für Feinschmecker, die auf über nachgestellte Variationen von "Jugendliebe" und "Country Roads" abfahren. Endlose Mengen von Einheimischen und Fremden trampeln beim traditionsreichen "Laternenfest" in Halle über Weg und Wiese, immer auf der Suche nach dem Grund, der das Dabeisein rechtfertigt. Ist es der Soulbarde Edo Zanki, der im nur knapp nicht bauchfreien Dress Lieder heult, die treffenderweise "Wir wissen nicht, was wir tuhuhuhen" heißen? Oder ist es die große Rutsche, an der eine Schlange steht, als sei Rutschen der neue, geile Nachfolger des iPhone? Ist es der peruanische Indianer vom Stamme der Blockflöten, der sich des größeren Zuschauerinteresses wegen neuerdings in eine Häuptlingsunifor der Sioux hüllt? Oder die James-Brown-Celebration-Show, die abrockt wie ein Toter eben gerade noch so abrocken kann?
Wer es nicht erlebt hat, würde es nicht glauben. Dank Bier und Wein und kleinen Schnäpsen ist die Stimmung schon vor dem großen Klimaschutz-Feuerwerk angemessen gelockert. Es sind vor allem Leute zwischen 14 und 35, die zwischen Pulloverständen und Bratwurstbuden umherbranden, als gäbe es auf irgendeiner Bühner etwas zu verpassen. Dort aber gibt sich in der 80. Auflage des größten Volksfestes in Mitteldeutschland nur der Bodensatz der deutschen Popkultur ein Stelldichein: Namenlose Bands, die mit dem Publikum, das gemütlich auf weitläufigen Biertisch-Ensembles hockt, traumverloren Schlager-Dutzendware exekutieren. Die Haare der Musiker sind grau, die Zöpfe schütter, die Sängerin hat sich zur Feier des Tages in ein erotisch äußerst offensives Dominakostüm gezwängt. Da schunkelt die Gemeinde hemmungslos im Takt, während nebenan bei den Bundeswehr-Reservisten im Gedenken an die Opfer des jüngsten "Zwischenfalls" (dpa) in Kabul ein neues Fäßchen mit Gerstensaft angesteckt wird.
Hier versteht man es zu feiern. Dabei gilt die Devise: Je niedriger das Niveau, desto weniger tief kann man fallen. Letztes Jahr verzaubert Ireen Sheer, ja die Ireen Sheer, noch die Massen, dazu sang ein Maffay-Double ohne Warze und eine tschechische Blaskapelle trötete in einem Zelt. Diesmal bestreitet ein selbsternannter Diskjockey, angestellt von einem örtlichen Radiosender, mit dem poetischen Satz "Check this out" seinen gesamten Auftritt, auf dem Discofloor nebenan knarzt Herbert Grönemeyer derweil aus der Konserve "Männer" und der Boden bebt vor Begeisterung. Viel braucht es nicht zum Glücklichsein, denn im Mittelalterdorf gibt es Flammkuchen und wir nehmen mal noch zehn Feigling für unsere große Fläschchenpyramide. Die Reservisten spielen "Sweet Home Alabama" und auf der Saale fährt gerade ein Schiff vorbei, von dem eine Opernmelodie ans Ufer flattert. Ein Fest eben für Feinschmecker.
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